kri­ti­ken

2023-2023
Wahrhaft schön
Der Orpheus-Chor bringt in einem Abend mit geistlicher Musik die Kompositionen von Schnittke und Tschaikowsky in der Sendlinger Himmelfahrtskirche eng zusammen. Exakt 100 Jahre liegen zwischen der Entstehung von Peter Tschaikowskys drittem "Cherubinischen Gesang" von 1884 und den "Drei geistlichen Gesängen" von Alfred Schnittke. Da beide sich als liturgische Musik auf ähnliche Quellen und traditionelle Formeln beziehen, schrumpfte der Abstand so sehr, dass man ihn beim Hören kaum mehr wahrnahm. Und weil das Publikum in der Himmelfahrtskirche Sendling beim Konzert des Orpheus-Chors unter Gerd Guglhör so gebannt war, applaudierte es dazwischen auch nicht. Ohne Pause und Beifall folgte das gut halbstündige Requiem Schnittkes. Es begann erneut archaisch, bevor mit dem skandierenden "Kyrie" und einem dissonanten "Dies Irae" ganz neue Töne angeschlagen wurden. Im "Tuba Mirum" grundierte wirklich die Posaune des Jüngsten Gerichts machtvoll den in Tönen marschierenden Chor. "Recordare" und "Lacrimosa", das erneut mit Jasmin Binde, Roswitha Schmelzl und Katharina Guglhör drei Soli überstrahlten, brachte bange Ruhe in das Geschehen, bei dem der Chor immer wieder in eine eigentümliche Mischung aus Singen und Sprechen verfiel, Schlagwerk und Orgel den Singenden in die Parade fuhren oder E-Gitarre und E-Bass das Klangbild leicht verfremdeten. Sphärenklänge gab es dagegen zu hören im "Sanctus" mit Tenor-Solo (Sören Decker) und bei den schwebenden Harmonien von "Benedictus" und "Agnus Dei" mit Altsolo samt den irrealen Klängen einer Celesta. Das "Credo" erhielt durch ein Drumset eine weltliche Färbung, bevor mit dem abschließenden "Requiem aeternam dona eis" der Bogen zum Beginn geschlagen wurde. Nur schade, dass etliche Plätze in der kleinen Kirche leer blieben, denn derart präzise, konzentriert, aber auch wahrhaft schön gesungene geistliche Musik, unterbrochen nur durch Texte von Jürgen Henkys, Adam Zagajewski und Hilde Domin, die Christoph Hirschauer las, enthält mit jeder Phrase eine humanitäre Botschaft, die nicht oft genug gehört werden kann.
SZ, Klaus Kalchschmid, Juni 2023