kri­ti­ken

2024-2024
Gewaltige Herausforderung - Der Orpheus-Chor singt Claudio Monteverdis Marienvesper in der Schwabinger Erlöserkirche.
1991 hat der Orpheus-Chor unter Gerd Guglhör, der das Ensemble neun Jahre zuvor gegründet hatte, Claudio Monteverdis berühmte Marienvesper von 1610 das erste Mal gesungen. Seither gehört sie zur DNA des Chors, auch wenn eine Aufführung nur alle Jubeljahre möglich ist. Denn die Anforderungen dieses anderthalbstündigen Werks an der Schwelle von Renaissance und Barock, das seinesgleichen in der Musikgeschichte sucht, sind ebenso gewaltig wie heikel, nicht nur, weil es gelegentlich doppelchörige Zehnstimmigkeit gibt. In der bis auf den letzten Platz besetzten wunderschönen Schwabinger Erlöserkirche gelang Guglhör mit seinem Chor, exzellenten Solisten und dem Originalklang-Ensemble La Banda mit wenigen Streichern, Theorbe, Barockposaunen, Zink und Orgel eine federnd gespannte und farbig lebendige Interpretation, die an manchen Stellen den Kirchenraum mit seinem Hall geradezu rauschhaft füllte. Nur drei Jahre nach seinem "L'Orfeo" entstanden, der mit derselben Hymne der Gonzaga beginnt (hier freilich gesungen), experimentiert Monteverdi mit opernhaften Elementen, die er in vier "Concerti" präsentiert, und wird zugleich den Anforderungen eines geistlichen Werks gerecht. Das fordert einem Tenor wie dem großartigen, ebenso leuchtkräftigen wie stilsicheren Maximilian Vogler einiges ab. Rodrigo Carreto singt ein traumhaftes "Duo Seraphim" mit ihm oder ist sein buchstäbliches Echo. Auch die beiden Soprane Gerlinde Sämann und Veronika Mair duettieren immer wieder berückend, das Sextett vervollständigen mit etwas weniger großen Aufgaben die Baritone Manuel Winckhler und Sebastian Myrus. Der Wechsel von solistischen und chorischen Partien gelingt ebenso aufregend wie das Nebeneinander von intim Zurückhaltendem und der großen dramatischen Geste. Mehrfach kehrt die Beschwörung der göttlichen Trinität wieder, und damit endet das Werk auch triumphal: "Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto - Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, in Ewigkeit, Amen."
Klaus Kalchschmid, Mai 2024