kri­ti­ken

2010-2010
Uraufführung »Der Seele Ruh‘«
NÜRNBERG - Mit dem »Joram« von Paul Ben-Haim ging die 59. Internationale Orgelwoche Nürnberg zuende. Ziemlich enttäuschend fiel dabei die Uraufführung von »Der Seele Ruh‘« anlässlich des 750. Geburtstags des christlichen Mystikers Meister Eckhart aus.
Wieder so ein Fall, wo der interpretatorische Aufwand umgekehrt proportional zum künstlerischen Ertrag verlief. Die Orgelwoche hatte mit Hilfe des BR Deutschlands führenden Countertenor Andreas Scholl, den formstarken Orpheus Chor aus München (Leitung: Gerd Guglhör), das hauseigene Rundfunkorchester unter der arrivierten estnischen Dirigentin Anu Tali, eine japanische Taiko-Trommel und sogar Lichtdesign in St. Sebald auffahren lassen.
Süffiger und weichgespülter Wabersound
Der Komponist und Keyboarder Roland Kunz, der sich als Countertenor Orlando nennt, erhielt den Auftrag, mit einem abendfüllenden Werk in die spirituelle Welt Meister Eckharts einzuführen. Er mischte mittelhochdeutsche, lateinische und deutsche Zitatfragmente (und vergass nicht bei jedem von ihm gelesen Halbvers auf die eigene »Bearbeitung« zu verweisen). Mit seinem tonal eingängigen, ja geradezu süffigen und weichgespülten Wabersound, den Frank Zabel in eine spielbare Form gebracht hatte, arbeitete er sich an den ausgewählten Sentenzen ab. Die Seele als eigentlicher Sitz der Göttlichkeit war das Thema und das wird etwa in der Nummer »Zerginge das Feuer« sogar mit einem heftigen Querverweis auf die »Dies irae«-Sequenz beschworen.
Überirdische Legatobögen
Es wird deklamiert, akklamiert, herzerweichend gesäuselt und die beiden Gesangssolisten schmeicheln mit überirdischen Legatobögen. Allein: Das ganze, in die eigene begrenzte Erfindungsgabe verliebte Opus lässt eben jene Seele vermissen, die es vorgibt zu besingen. Das können selbst eine tolle Taiko-Nummer, das belanglose Lichtbad und die hervorragenden Ausführenden nicht kaschieren. Am Ende Beifall für kunsthandwerklichen Edelkitsch, der einer Orgelwoche ziemlich unwürdig war.
Nürnberger Nachrichten (Jens Voskamp, Uwe Mitsching), Juni 2010
Weiblich zart und zackig
58. Europäische Wochen Passau: [...] Enthusiastischer Jubel für modernes Oratorium

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Von einer Uraufführung kann man bei der Aufführung von „Der Seele Ruh“ am Samstag in der Passauer Studienkirche nicht mehr sprechen - die fand bereits am Freitag in Nürnberg statt. Dennoch haben die Festspiele mit dem Oratorium von Roland Kunz eine Art Premiere erlebt: Allein durch das gewaltige Ausmaß der Besetzung und den esoterischen Inhalt fällt die Vertonung der Worte Meister Eckharts aus dem Rahmen - und dass eine zeitgenössische Komposition gerade vom alteingesessenen Publikum so enthusiastisch gefeiert wird, lässt sie noch außergewöhnlicher erscheinen.
Man kann sich diese Musik ein bisschen so vorstellen wie die letzten zehn Minuten im Kino: Streicher und Harfe weben einen dichten, fließenden Klangteppich, die Flöten lassen eine ergreifende Melodie anklingen - und dann explodiert alles im Fortissimo, der Chor schwelgt „Aaaah“, während der Held auf der Leinwand den letzten Kampf gewinnt, die schönste Frau in die Arme schließt und der Zuschauer Gänsehaut bekommt. „Der Seele Ruh“ funktioniert ganz ohne äußere Bilder, die Gänsehaut ist dieselbe - und das über 100 Minuten.
Auch wenn die Massivität der Orchestrierung in apartem Kontrast zum Titel steht: So ungeheurer Wohlklang kann mit der Zeit ungeheuer fad werden - erst recht wenn die Melange so poplastig ist wie hier. Anu Tali sorgt mit einem wahren Kraftakt von Dirigat dafür, dass es spannend bleibt. Zum einen durch totale Disziplin: Die zierliche Estin zeigt penibel an und hat die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Mitwirkenden aus Rundfunkorchester, Band „Orlando und die Unerlösten“ (des Komponisten Roland Kunz) und orpheus chor. Zum anderen schafft sie mit Eigensinn und Gespür Momente wie im zentralen Chor „Zerginge das Feuer“: Das markerschütternde Tutti verebbt urplötzlich zu einem sanften Klingen, Andreas Scholls wie entrückt scheinender Countertenor hebt an, von Gott zu singen - ein Augenblick zum Mit-Nach-Hause-Nehmen, der die eigentliche Botschaft gegenwärtig macht: Die essenzielle Bedeutung innerer Ruhe. Katrina Jordan
Passauer Neue Presse, Juni 2010
Stimmen von außen
Das Barockorchester La Banda, der Orpheus Chor München und sieben Vokalsolisten unter Leitung von Gerd Guglhör waren die Interpreten von Claudio Monteverdis "Marienvesper", die im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses aufgeführt wurde, ein Raum, der nur wenige Jahre nach der 1610 erfolgten Komposition entstanden war.
Auf historischen Instrumenten konzertierte das La-Banda-Ensemble rein und strahlend mit den allesamt kraftvoll-sicheren Solisten. Auch der Chor präsentierte eine hervorragende Leistung, wirkte jedoch mit 60 Sängern an einigen Stellen schlicht zu mächtig. Dennoch waren die verschiedenen Kompositionsstile um 1600, die Monteverdi in diesem geistlichen Oeuvre kunstvoll miteinander verschmolz, schön herauszuhören. Exzellent umgesetzt auch die auskomponierten Echoeffekte. Durch das offenstehende Saalportal hallten partikulär Tenor und später eine Violine solistisch aus dem Treppenhaus wider.
Nach der - leider eingelegten - Pause war es kein leichtes Unterfangen, die zuvor stetig aufgebaute Spannung zu halten und zum Schluss hin zu steigern. Der letzte der fünf Vesperpsalmen sowie zwei marianische Gesänge und das abschließende "Magnificat" fielen gegenüber dem ersten Teil, dem noch ein imposantes siebenstimmiges "Gloria" Monteverdis vorausgegangen war, etwas ab. Die prunkvolle Schlussdoxologie hinterließ dann aber wieder einen deutlichen Akzent und gab dem Publikum Grund zu stürmischem Beifall.
Augsburger Allgemeine (Frank Weckenmann), Oktober 2010